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Hey, du! Also, hey. Also...verdammt oder: Der ehrlichste Brief, den ich je geschrieben habe

Jeder kennt es: Die Krims - Krams - Kiste / Schublade. Auch ich habe sie. 

Die Weihnachtskarten von Oma und Opa? Man will sie nicht wegwerfen, aber wohin damit? Krims - Krams - Kiste!!

Der doofe Schlüsselanhänger, den man als Werbegeschenk bekommen hat? Naja, vielleicht kann man ihn irgendwann mal brauchen. Aber wohin damit? Krims - Krams - Kiste!

Die Sammelkarten von Twilight, weil man früher sooooo auf Bella, Edward und Jacob abgefahren ist? Wer weiß, vielleicht kann man die mal teuer verkaufen? Aber wo zum Teufel soll man die denn hin tun?! KRIMS - KRAMS - KISTE!

Als ich letztes Jahr im September umgezogen bin, hab ich alles mögliche in die Krims - Krams - Kiste geschmissen. Das ganze Kleinzeug, was sonst keinen Platz hatte, landete dort. Gestern Abend blieb meine Uhr stehen und ich suchte nach Batterien. Weil ich so super organisiert bin musste ich zuerst einmal die halbe Wohnung auf den Kopf stellen, um dann bestimmt KEINE Batterien zu finden. Wo könnten also noch welche sein? Klar, in der Krims - Krams - Kiste. Leute, tut es nicht. Diese Kiste hat Ähnlichkeit mit der Büchse der Pandora. Sie befreit alles Schlechte, stürzt eure Welt ins Chaos und wirft die Erde aus ihrer Umlaufbahn. Einmal geöffnet versinkt ihr in Schätzen aus längst vergangener Zeit. Und ihr werdet wahnsinnig nostalgisch und melancholisch. Und was mache ich? Ich öffne sie. Die Batterien für die Uhr waren schnell vergessen, es gab Wichtigeres zu sehen. Alte Briefe (zum Beispiel: "Du bist meine aller beste Freundin, ich würde dich vür nichts in der Welt mer hergeben.!" oder: "Kannst dich noch erinnern?

Ich: "Daisy?"

Du: "Ja?"

Ich: "Ich hab dich soooooo lieb!"

Du: "Aha." (mann, ich kann das mit Gefühlen)

oder: "Tut mir leid, das ich dich eine blöde Kuh genant hab. Du bist eigendlich gans cool." - Ja, die Gans....Wie ihr seht, einige Rechtschreibgenies!).

Was fand ich noch? Die Twilight - Sammelkarten. Hui, ich war mal richtig verrückt danach. Und Hello Kitty Klopapier! Keine Ahnung was es da macht, aber ich habe es. Richtig schlimm: Ein Poster von Tokio Hotel. Ja. Ich gebe es zu. Die mochte ich so gern! Schande über mein Haupt, ich stell mich mal ins Eck und schäme mich.

Was mich aber wirklich zum Nachdenken brachte: Ein Brief. Ich erkannte die Handschrift als meine und er war adressiert an mich, im Jahr 2015. Also an mein 18 - Jähriges ich. Ich öffnete ihn mitten in der Nacht und war fasziniert. Als ich 12 war habe ich wohl an mich mit 18 Jahren einen Brief geschrieben. Er war sehr berührend und ich wunderte mich, was ich mit 12 von mir erwartet hatte und wie es jetzt ist. So vieles hatte sich im Lauf der Zeit geändert. Zum Beispiel wollte ich mit 12 unbedingt Tierärztin werden, weshalb ein Satz in dem Brief lautete:

"Du machst jetzt wohl deine Matura. Natürlich lernst du brav und wirst gut abschneiden, damit du zum Studium zugelassen wirst und eine erfolgreiche Tierärztin werden kannst!"

Zumindest habe ich meine Matura gemacht. Das mit dem gut abschneiden und brav lernen ignorieren wir mal, das hab ich mir auch mit 12 nicht geglaubt. Ein Versuch war es wert! 

Dass ich nicht Tierärztin wurde. Naja. Ich mache was mit Medizin. Zumindest damit. Sind halt nur Menschen geworden. Was solls?

Im Endeffekt geriet dieser Brief in Vergessenheit und wurde erst jetzt geöffnet und dies brachte mich auf eine Idee. Es brachte mich auf die Idee, den ehrlichsten Brief meines Lebens zu schreiben und ich möchte ihn nun teilen.

 

Hey du,

Ja genau du, Daisy. Zumindest mein 16 - Jähriges Ich. Ich bins, Daisy mit 21 und ich möchte dir was sagen.

Mit 16 warst du noch ganz schön unsicher. Du hattest keinen Plan vom Leben, fühltest dich anders, aber doch so zugehörig. Und damit das Zugehörigkeitsgefühl blieb, hast du dich betrunken. Und Mädel, was du alles weggesoffen hast. Ein Wahnsinn, dass du noch lebst! Du warst unsicher über dein Aussehen und wie du bei den Menschen ankamst. Lass dir gesagt sein: Du wirst auch mit 21 noch unsicher sein. Du wirst dich morgens fragen, ob der Weg der Richtige ist und du wirst abends beim zu Bett gehen nachdenken, ob der Tag sinnvoll war. Du betrinkst dich nicht mehr so häufig, aber wenn du es tust, dann mit Filmriss und allem drum und dran. Aber du wirst Spaß haben, das sei dir gesagt. Und über diesen Spaß vergisst du deine Unsicherheit. Außerdem lernst du sie zu verstecken und es wird der Tag kommen, an dem dich die Leute als Selbstbewusst und Stark beschreiben. Ich weiß, mit diesen Eigenschaften kannst du dich noch nicht identifizieren und ich sehe auch dieses überlegene Lächeln auf deinen Lippen, dass du jedem geschenkt hast, der glaubte, intelligenter als du zu sein. Glaub mir einfach, der Tag wird kommen. Oh, und schmink dir das Lächeln ab. Du bist nicht so intelligent, wie du vielleicht glaubst. Ehrlich gesagt machst du noch ein paar wahnsinnig dumme Fehler, die kindisch und naiv sind und mal so gar nicht intelligent. Ein bisschen Hausverstand solltest du dir dringend zulegen. Aber du wirst aus diesen Fehlern lernen, auch das sei gesagt.

Du hattest damals große Angst vor der Zukunft und glaubtest, dass du deine Träume vielleicht nie erreichen wirst. Nun, deine Träume werden sich ändern und du wirst noch während du sie erreichst an ihnen zweifeln. Zweifel, egal bei welchem Thema, werden dir nie abhanden kommen. Wir sind nunmal von Grundauf skeptisch, was aber nicht schlecht ist. Wir haben uns so vor einigem Unheil beschützt. Auch, wenn wir trotzdem einiges durchgestanden haben. Vergiss nur nicht, dass du über die Zweifel stehen musst und lerne etwas schneller, dass man auch mal ein Risiko eingehen darf. Manchmal springen bei solchen Risiken die besten Dinge heraus. 

Ich weiß, dass du voller Ziele und Erwartungen an das Leben warst, du warst so voller Hoffnung und gleichzeitig wolltest du immer den Moment einfrieren und bloß nicht älter werden, denn du wusstest schon damals, dass das Älter werden alles verändern würde. Auch vor Veränderungen hattest du solche Angst. Was tust du denn, wenn deine Freunde nicht mehr bei dir sind? Und was tust du, wenn du von deinem Heimatort wegmusst? Natürlich konnten wir den Moment nicht einfrieren. Wir lebten weiter und wurden auch älter. Wir verloren ziemlich viele Freunde auf dem Weg und wir verließen ziemlich schnell unsere Heimat. Die Veränderungen, die wir durchleben mussten, waren oftmals wahnsinnig hart und an einigen wären wir beinahe zerbrochen. Aber du, Daisy, wirst stark werden. Du musst keine Angst haben. Ich weiß, du denkst jetzt, das ist leicht gesagt und ich gebe dir recht. Auch wenn ich sagen kann, dass du keine Angst haben musst, so wirst du sie trotzdem fühlen. Lass dich nur nicht von ihr beherrschen. Die Angst darf dich nicht übernehmen. Es ist wichtig Angst zu haben, denn es heißt, dass man noch was zu verlieren hat. Aber wer völlig von ihr beherrscht wird, der findet keine Freude mehr und dem ist ein sehr trostloses Leben beschieden.

Und bitte lege deine Wut ab. Du bist so unbändig zornig. Auf dich, auf deine Eltern, deine Geschwister, die Welt. Du trägst eine Menge Hass und Zorn und negative Gefühle mit dir herum. Du lässt sie nicht raus, sondern frisst sie hinein und das tut dir nicht gut. Dieser Zorn macht dich verhärmt und bitter und ich weiß noch, wie wir mit 18 mal gefragt wurden, was das Leben uns angetan hat, dass wir schon so verbittert sind. Es ist der Hass in deinem Inneren, den du fürchtest und von dem du nicht einmal weißt, woher er kommt. Drück ihn nicht weg, du darfst sauer sein, wenn dir was nicht passt. Du darfst deinen Frust auch mal rausschreien! Geh in den Wald und brüll dir die Seele aus dem Leib.

Und hab keine Sorgen, was die Liebe angeht. Ich weiß, du träumst von rosaroten Herzen und Seifenblasen, aber bis es dazu kommt werden du und die Liebe noch einige Kriege ausfechten. Vergiss nur bitte nicht, dass man nur die Menschen hassen kann, die man wirklich liebt und dass so starke Gefühle nur möglich sind, wenn einem wirklich was an dem Anderen liegt. Lass nicht zu, dass man auf dir herumtrampelt, sondern sei stark und frei und wunderbar und genieße die Liebe, wenn sie zu dir kommt. Lass die Liebe aber auch gehen, wenn sie nicht bleiben will. Du glaubst, dass du nur kräftig genug an ihr halten musst, um sie zum Bleiben zu bewegen, aber das geht schief. Lass sie frei, wenn sie sich entscheidet zu gehen und mache dich frei, wenn die Trauer ob ihrer Abwesenheit dich zu erdrücken droht. Nur, weil die Liebe manchmal abwesend ist, heißt es nicht, dass sie nicht da ist. Das ist sie nämlich, in dir. Um jemanden zu lieben musst du vor allem dich selbst lieben und wenn du dich selbst liebst, dann ist die Liebe nie weit weg von dir. Du hältst mich jetzt für völlig verrückt, weil du dir nicht vorstellen kannst, wie du dich selbst lieben sollst. Du findest deinen Arsch zu groß, deine Brüste zu klein. Du magst deine Hexennase nicht und wenn dich jemand fragt, was deine besten Eigenschaften sind, dann schüttelst du den Kopf, lachst und wechselst das Thema, weil dir keine Eigenschaft einfällt. 

Es tut mir von Herzen leid, dass du erst so spät mit deinem Körper klar kommst. Es tut mir sehr Leid, dass du solange brauchst um dich selbst zu akzeptieren. Würdest du es früher können, wärst du vielleicht nicht so wütend. Aber ich bin stolz, weil du es schaffen wirst. Es wird dauern, aber du schaffst es. Und irgendwann wirst du voller Stolz deinen Arsch im Spiegel angucken und dich freuen. Auf den kann man wenigsten draufhauen, ohne dass das Becken zersplittert. Du wirst deine Brüste ansehen und dir denken: "Eine gute Männerhand voll. Das reicht." und dich freuen, dass du dich nicht mit noch mehr Rückenproblemen abquälen musst. Du wirst den Mut aufbringen, Selfies von der Seite zu schießen, wo das volle Ausmaß deiner Nase zu sehen ist und wirst dir einfach nur denken, dass sie kein Makel ist, sondern genau so perfekt in dein Gesicht gehört. Und wenn mich jetzt jemand nach meinen guten Eigenschaften fragt, dann kann ich sagen, dass ich humorvoll, spontan, ehrgeizig, klug, schlagfertig, redegewandt, pünktlich und offenherzig bin. Und ich werde sagen, dass man jede Eigenschaft als Gute oder Schlechte deklarieren kann, wenn man das möchte.

Daisy, kleine Daisy. Das Leben wird in den nächsten Jahren nicht leichter werden. Du wirst erwachsen werden und selbstständig, wirst von zu Hause ausziehen und dein Leben fernab von deinen Eltern bestreiten. Du wirst noch so oft verzweifeln, an Rechnungen und Mahnungen, an Terminen und Problemen, die das Erwachsensein so mitbringen. Du wirst erkennen wie vergänglich das Leben ist, wie schnell es gehen kann. Du wirst auf Beerdigungen stehen und Verluste betrauern, wirst Hochzeiten feiern und Windeltorten verschenken, wirst zusehen, wie Häuser gebaut und Abschlüsse gemacht werden und wirst dich selbst an der Nase fassen und versuchen, dein Leben auf die Reihe zu kriegen. Es wird nicht immer einfach, Erwachsensein ist nämlich echt scheiße. Aber ich verspreche dir, dass du Menschen an deiner Seite haben wirst, die dich unterstützen und aufbauen und die diesen schweren Weg mit dir beschreiten. Du wirst ein paar Mal die falsche Abzweigung nehmen, wirst dich verlaufen und mutig genug sein, um den Rückweg anzutreten und nochmal von vorne anzufangen. Du wirst deine Talente entdecken, wirst dich selbst entdecken und wirst entdecken was es bedeutet völlig glücklich zu sein. Du wirst sehen, dass du dazu kaum mehr brauchst, als was du bereits hast. Oftmals wirst du dir denken, dass Erwachseinsein wie Suppe ist und du kein Löffel, sondern eine Gabel bist, aber du machst das Beste daraus. 

Ich hoffe, dass du irgendwann einmal auf dich mit 16 zurückblickst und voll Stolz sagen kannst: "Ich habe es geschafft." Denn du wirst es schaffen.

 

In Liebe,

Daisy

 

 

 

 

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