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Mental Illness oder: Guck, die hat ne Schraube locker!

Auch wenn der Titel an meine gewohnt lustigen Beiträge erinnert, so werde ich aber heute eher eine ernste Schiene fahren. Meinen Humor habe ich also in die Ecke geschickt, wo er nun ein bisschen grantig guckt, und wende mich mal einem Thema zu, dass mir persönlich sehr wichtig ist: Mental Illness.

 

Natürlich kommen mir beruflich viele Patienten unter, die neben dem Aufnahmegrund eine psychische Erkrankung aufweisen. Aber auch in meinem privaten Umfeld ist es ein großes Thema. Ich bin also permanent damit konfrontiert und setze mich damit auch auseinander. Für mich ist es immer wieder schockierend zu sehen, wie Menschen, die eine psychische Erkrankung haben, abgestempelt werden, so als wären sie keine vollwertigen Menschen mehr. Durch das und einer kürzlichen Inspiration fühlte ich mich genötigt, auch einmal darüber zu schreiben. Ich bin keine Bloggerin mit tausenden von Followern, aber ich weiß, dass ich zumindest ein paar Menschen erreiche und vielleicht bei ihnen ein Bewusstsein schaffen kann.

Ich bin im Moment in einem Praktikumseinsatz auf einer neurologischen Station. Das Patientengut besteht aus ziemlich vielen Schlaganfällen, Wirbelsäulenproblemen und Erkrankungen rund ums Gehirn. Dass hier auch oft psychische Probleme zugrunde liegen, oder auch eine Folge der Haupterkrankung sind, ist wohl logisch. So durfte ich mehrere Patienten kennen lernen, die in unterschiedlichem Ausmaß betroffen sind:

- Ein junger Mann, der von starken Beruhigungsmitteln abhängig ist. Bei der Aufnahme bat er mich um ein Patientenhemd und entkleidete sich dann vor mir. Sein Körper, vor allem Beine und Arme, waren übersät mit Narben. Die psychiatrische Vorgeschichte lässt auch auf einen Suizidversuch schließen.

- Ein Mann mittleren Alters, übernommen von der Stroke, nach einem Schlaganfall. Nebendiagnose: Depressionen. Ein Meister der Schauspielerei, der viel lacht und Quatsch mit dem Personal macht. Er weinte bitterlich, während ich seine Hand hielt, weil er den Tod der Mutter noch nicht verwunden hatte.

- Im selben Zimmer: Ein Alkoholabhängiger, der deshalb an Epilepsie leidet. Er ist nun seit ein paar Wochen trocken und voller Motivation, es endlich zu schaffen. Er bemüht sich, aber man sieht ihm an, dass er Angst hat. 

- Eine ältere Dame: Verdacht auf Gehirnblutung. Sie hat eine wahnhafte Schizophrenie und ist medikamentös eingestellt. Man merkt ihr nichts an, sie verhält sich völlig normal. Hätte ich ihre Diagnosen nicht gelesen, so hätte ich keine Ahnung.

 

Diese Liste ist endlos lang, jedoch blieben mir diese vier Patienten sehr im Gedächtnis, aus einem Grund:
Man sieht es ihnen nicht an. Und ich denke, dass ist eines der Hauptprobleme, die Menschen mit psychischen Erkrankungen haben.

 

Psychische Erkrankungen sind unsichtbar. Es ist nichts, was man einfach begreifen kann und nichts, was man verstehen kann, sofern man nicht selbst unter so etwas leidet. Die tiefe Trauer und Leere, die depressive Menschen empfinden, kann niemals von jemandem in diesem Ausmaß nachempfunden werden. Die Reaktion eines Menschen mit Persönlichkeitsstörung auf eine bestimmte Situation ist meist nicht adäquat und kann nicht eingeschätzt werden. Die Empfindungen, wenn sich jemand selbst verletzt, können vielleicht erklärt werden, aber niemals vollends verstanden.

Menschen sind mit sehr vielen Sinnen ausgestattet. Wir sehen und unser Gehirn verarbeitet dies. Wir hören, wir schmecken und vor allem: wir greifen und fühlen. All diese Sinne helfen uns bei einer psychischen Erkrankung nichts. Wir sehen es niemandem an und solange er es nicht erzählt, hören wir es auch nicht. Wir können eine psychische Erkrankung nicht schmecken und unser haptischer Sinn hilft uns auch nicht weiter, denn wir können so eine Krankheit nicht berühren. Dies überfordert unser Gehirn, denn es ist leicht etwas zu leugnen, was sich nicht mit Sinnen begreifen lässt. Wenn sich jemand den Fuß bricht, so können wir den Gips sehen. Wer irgendwie ekelig ist, kann den auch abschlecken. Man kann es leichter akzeptieren, weil wir es unserem Gehirn durch unsere Sinne mitteilen. 

Und um bei diesem Beispiel zu bleiben: Wenn sich jemand den Fuß bricht, so tangiert dies sein Leben nicht so stark, wie eine psychische Krankheit es tut. Krankheiten, die von der Psyche ausgehen, wirken sich extrem auf die Lebensqualität, das Erleben der betroffenen Person und auch auf das Leben von Angehörigen und Freunden aus. Alle Bereiche des Lebens werden hart in Mitleidenschaft gezogen, einige der Betroffenen verlieren dadurch sehr viel wichtigen Rückhalt. Auch heilt ein Bruch einfach aus, eine psychische Krankheit jedoch nicht so leicht. Oftmals kämpft man ein Leben lang damit. 

 

Was passiert nun, wenn jemand sagt, er ist psychisch krank?

In den Köpfen von intelligenten Menschen folgendes: "Okay. Was genau? Okay. Das tut mir leid für dich."

In den Köpfen von weniger intelligenten Menschen: "Was?! Mit dir will ich nichts zu tun haben!"

Gut, dies ist vielleicht etwas überspitzt dargestellt, jedoch ist es so ähnlich. Das Schubladendenken der Menschen führt dazu, dass psychisch Erkrankte entweder akzeptiert oder ignoriert werden. Sagt man offen: Ich habe eine psychische Erkrankung, wird man abgestempelt. Man assoziiert psychische Krankheiten mit Serienmördern, Verrückten, die völlig ausflippen. Menschen glauben, dass sie anstrengend und aufwendig sind, dass sie dumm sind. Manche glauben, man muss sie mit Samthandschuhen anfassen, ihnen ja keinen Stress aufhalsen. Viele Menschen wenden sich ab, weil sie es nicht verstehen. Die meisten sind ängstlich und wollen bloß nichts falsch machen, was aber meist zu noch mehr Problemen führt.

 

Wie geht man wirklich damit um?

Es gibt keine Universallösung. Borderliner ist nicht gleich Borderliner. Depression nicht gleich Depression. Durch die Vielfalt der Menschen ist auch die Vielfalt der Symptome groß und natürlich auch der Unterschied. Ihr werdet einem Menschen mit einer psychischen Erkrankung so oder so mal auf die Füße treten, da sie eben meist empfindsamer und sensibler sind. Es lässt sich nicht vermeiden. Aber bitte: Geht mit ihnen nicht anders um. Es ist schwer genug jeden Tag einen inneren Kampf zu führen, einen lebenslangen Krieg mit sich selbst auszufechten. Es ist harte Arbeit jeden Tag in die Tiefen seines Geistes herabsteigen zu müssen und sich selbst zu reflektieren. Es ist hässlich mit all dem zu Leben, zu jeder Sekunde. Man weiß, dass es nicht nur einen selbst belastet, sondern auch andere und man fühlt sich dafür schuldig. Wenn dann jemand daherkommt und einen auch noch spüren lässt, dass da etwas ist, was einen anders macht, dann fühlt man sich umso schuldiger. Man geht mit einer psychischen Erkrankung genau so um, wie man mit jedem Menschen umgeht. Respektvoll, höflich. Erinnert euch an eure Erziehung!

Außerdem: spielt es nicht herunter. Öffnet sich so ein Mensch euch gegenüber, dann sagt bloß nicht, dass man einfach "positiver" sein muss. Und um Himmels willen, erzählt niemals, dass ihr wisst wie sich die Person fühlt, weil ihr Dieses und Jenes durchgemacht habt. Auch wenn ihr selbst psychisch krank seid und euch mit einem Leidensgenossen unterhaltet. Niemand kann es je wirklich verstehen, wie es in so einem Menschen aussieht. Wenn sich jemand euch gegenüber öffnet und euch tiefer blicken lässt, dann ignoriert es nicht, spielt es nicht herunter, oder tut so, als könntet ihr genau dasselbe fühlen. Wenn jemand diesen Seelenstriptease vor euch durchzieht, dann hört zu. Haltet Blickkontakt. Unterbrecht denjenigen nicht, fragt nicht nach. Alles was er erzählen will wird von selbst kommen. Bedrängt niemanden euch etwas zu erzählen. Schenkt der Person eure ungeteilte Aufmerksamkeit und gebt ihr das Gefühl, dass sie gut aufgehoben ist. Wenn es die Situation zulässt, greift nach der Hand, legt einen Arm um die Schulter. Und wenn die Person fertig ist, alles gesagt wurde, dann erklärt ihr, dass ihr jederzeit für die Person da seid und dass ihre Geheimnisse und Probleme bei euch sicher sind. 

Zeigt Grenzen auf! Nur zu oft sind psychisch Kranke etwas enthemmt, reagieren nicht adäquat auf bestimmte Situationen, oder sagen und tun Dinge, die euch nicht passen. Dies liegt nicht an einer schlechten Erziehung, es ist oft ein Teil des Krankheitsbildes. Ihr dürft sehr wohl sagen, dass das jetzt nicht passend war, ihr dürft euch auch zurückziehen, wenn es euch zu viel wird. Wichtig ist einfach nur die Kommunikation. Ihr müsst den Mund aufmachen und euch mitteilen, damit es für solche Personen leichter ist, es zu verstehen. Sie befinden sich oft in einem Lernprozess und lernen geht nur, wenn man gemeinsam arbeitet.

Ihr dürft Fragen stellen, reden, Witze reißen. Ihr kennt das, jemand betritt den Raum und es wird schlagartig still. Jemand bekommt eine Diagnose, sowas wie Krebs und plötzlich trippelt man auf Zehenspitzen um die Person herum, vermeidet Krebs - Witze und traut sich nicht mehr offen zu sein. Das ist der falsche Weg. Auch bei psychischen Erkrankungen kommt dies vor. Deshalb appelliere ich an euch: fragt, wenn euch was nicht klar ist. Redet, so wie vorher auch. Achtet einfach darauf, wie euer Gegenüber reagiert, dann kann nichts passieren. Und wenn, dann fragt doch einfach, ob es Themen gibt, die man nicht ansprechen soll.

 

Ich denke das größte Problem ist, dass viele keine Ahnung haben, was die verschiedenen Krankheiten genau ausmachen. Bei Schizophrenie denken sofort alle an gespaltene Persönlichkeiten (ein weit verbreiteter und falscher Aberglaube) und an diverse Horrorfilme, wo der Axtmörder als Schizophren betitelt wird. Bei Borderline denken alle nur an die Selbstverletzung und Emo - Girls, die sich ihre Handgelenke aufschneiden (also bitte, NEIN!). Bei Depressionen gehen alle davon aus, dass dieser Mensch einfach nur traurig ist. Ich möchte euch den Tipp geben, sich zumindest ein bisschen was zu den Krankheitsbildern durchzulesen, wenn sich jemand euch gegenüber outet, oder ihr fragt die Person gleich selbst. Sobald man weiß, was es ist, wird es leichter. Glaubt mir.

 

Dieser Mensch vor euch, sei es jemand mit Persönlichkeitsstörung, Psychose, Depression oder Ähnlichem, ist ein Mensch. Er ist der Mensch, der er vorher war und er wird es auch bleiben. Er braucht vielleicht vermehrt Hilfe, weil sein Alltag beschwerlicher ist, aber er ist ein normaler Mensch und will als solcher behandelt werden! 

Eine psychische Erkrankung macht aus niemandem einen schlechteren oder gar minderwertigen Menschen. Weil man es nicht sieht, heißt es nicht, dass es nicht da ist.

Hört auf, sie in eine Schublade zu pressen und nehmt diese Menschen einfach an, so wie sie sind. Denn das tolle an Menschen mit psychischen Erkrankungen: Sie sind meist reflektierter und intelligenter als so manch andere. Sie sehen die Dinge realistisch, sind gute Gesprächspartner und Ratgeber. Sie sind einfühlsamer und empathischer und wissen wie der Hase und das Leben läuft. Und vor allem: Sie sind die stärksten Menschen, die es gibt. Denn wer so einen Kampf gegen sich selbst führt und diesen jeden Tag überlebt, ist stark. 

Ich bin sehr stolz darauf, solche Menschen in meinem Leben zu haben, denn sie verändern meine Perspektive und bereichern mich und mein Leben.

Und wenn ihr suizidal seid und noch lebt: Ich bin stolz auf euch!

Wenn ihr eine Essstörung habt und esst: Ich bin stolz auf euch!

Wenn ihr euch selbst verletzt und dagegen ankämpft: Ich bin so stolz auf euch!

Wenn ihr jeden Tag einen Kampf gegen euer Innerstes führt und weiter kämpft: Ich bin so verdammt stolz auf euch!

Gebt niemals auf, ihr seid etwas Besonderes.

 

Und ganz zum Schluss: geht mit jedem Menschen in eurem Leben bedachtsam um. Sprecht offen aus, was ihr fühlt und denkt. Lasst keinen Interpretationsspielraum, so beugt ihr unnötigen Diskussionen vor. Seid offen gegenüber allem Neuen und verhaltet euch menschlich. Denn das Problem unserer Zeit ist, dass die Menschlichkeit abhanden gekommen ist. Also müssen wir dagegen angehen, jeder Einzelne. Beurteilt Menschen nicht nach Herkunft, Rasse, Hautfarbe oder sonst was. Hört auf sie in Schubladen zu pressen und vergesst eure Vorurteile. Ihr glaubt gar nicht, was euch das Leben gibt, wenn ihr dies beherzigt. 

Und wer bis hierher gelesen hat, obwohl es diesmal ganz und gar nicht lustig war: Ein großes Dankeschön!

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Kommentare: 4
  • #1

    PanikattackenFindIchNichtGeil (Samstag, 14 Juli 2018 19:21)

    Ein so wichtiges Thema was in unserer Gesellschaft immernoch viel zu kurz kommt.
    Meiner Meinung nach ist das Feingefühl und die Akzeptanz noch weit aus zuwenig verankert. Es wird besser. Gott sei Dank!

    Aber die Mentalität: „Du schaust ned kronk aus dann bistas ah ned!“ ist immernoch viel zu sehr in den Köpfen vieler Menschen.

    Guter Beitrag!
    Ist eine Top Sache!

    Boah ich hasse mein nettes, schleimiges Ich xD

    LG
    MancheMögenMeinenHumorAuchNicht

  • #2

    Daisy (Samstag, 14 Juli 2018 19:23)

    Eins von hundert wichtigen Themen. Leider so tabuisiert. Aber die Awareness wird besser. Langsam aber sicher. Dies kann aber auch nur geschehen, wenn man offen drüber spricht.

    Dein nettes, schleimiges Ich ist völlig okay :D

  • #3

    Alien Anja (Samstag, 14 Juli 2018 21:10)

    Du hast wie immer die richtigen Worte für so ein heikles, aber so verdammt wichtiges Thema gefunden! Man geht davon aus, dass jeder dritte Mensch im Laufe seines Lebens mindestens an einer psychischen Erkrankung erkrankt. Dennoch ist das Thema in der Gesellschaft so verpönt...
    Du hast es aber mal wieder ehrlich, direkt und einfühlsam auf den Punkt gebracht.
    Danke dafür!

  • #4

    1öf (Sonntag, 15 Juli 2018 07:40)

    Sehr schön geschrieben, ich bin da total deiner Meinung!