· 

Die Wildnis auskosten oder: Wie ich mich wieder mal in heilloses Chaos stürze

Wie man bereits weiß bin ich in einem sehr ländlichen Teil von Österreich aufgewachsen. Nebst diversen Wäldern und Feldern, Kühen und Bauernhöfen, haben wir auch einige sehr schöne Schluchten und die Ausläufer der Alpen vor der Tür. Das bedeutet für mich: ich habe zwei Paar Wanderschuhe in meinem Schrank und stürze mich immer mal wieder in Wandertouren, die weit über meine Grenzen hinausgehen, weil ich einfach nicht akzeptieren will, dass ich dafür doch etwas mehr trainieren sollte. Mein Sturkopf ist oft ein wahnsinnig hinderlicher Teil meiner Selbst. Diese Wandertouren finden aber bei mäßigen Außentemperaturen statt, weshalb ich mich im Hochsommer gerne in den bereits genannten Schluchten verstecke. Hier findet man die schönsten Plätze Österreichs, wobei man dazu auch etwas Insiderwissen braucht. Schon als Kind habe ich die natürlichen Flüsse den Freibädern oder künstlich angelegten Seen vorgezogen. Gut, dass es in meiner Nähe so viel davon gab. Zwar war es immer arschkalt (manche dieser Flüsse erreichen selbst im Sommer nicht mehr als 12 – 15 Grad), aber es war ein Heidenspaß. Jetzt bin ich sogar noch lieber dort als damals, denn der große Vorteil: kaum bis gar keine Menschen. Man ist völlig für sich. Niemand legt sich in unangenehmen Abstand neben dich, dreht seine Music – Box auf und heult dich mit Helen Fischer voll. Keine kleinen Kinder schreien herum, niemand spritzt dich mit einer Arschbombe nass, keiner stolpert über deine Tasche. Niemand hat ein Problem damit, wenn du rauchst oder ein Lagerfeuer mit Deo und Reisepass anzündest. Keine Sau guckt dich blöd von der Seite an, wenn du dir dein Handtuch als Cape umhängst und alá Superman durch die Gegend hüpfst. Und wenn du ums Lagerfeuer tanzt, wie ein Indianer, der sich vorher ne Friedenspfeife reingezogen hat, dann fragt dich keiner ob du bescheuert bist. Ihr fragt euch wahrscheinlich grad, wer so blöd ist und seinen Reisepass verheizt? Nun, damit kommen wir zur Geschichte von heute, die natürlich in einem Chaos endet, welches ich angestiftet hab.

 

28 Grad Außentemperatur, Mittwochnachmittag. Jeder Trottel liegt im Freibad oder am Badesee. Daisy jedoch hat keinen Bock auf viele Menschen und entschließt sich spontan für den Weg von 45 Kilometer zu einem Lieblingsplatz aus ihrer Kindheit. Rasch noch eine Wassermelone eingepackt, die Badetasche ist im Sommer sowieso standardmäßig im Auto. Den besten Freund holt man auch noch ins Boot, denn er ist das einzige menschliche Individuum, welches man neben sich erträgt, und los geht’s. Während der Fahrt hört man von Frei.Wild über Bloodhound Gang bis hin zu MC Hammer alles was einem in den Sinn kommt und grölt herrlich schief mit. Auch passende Tanzbewegungen und Luftgitarren – Soli werden vorgebracht, was zu dröhnenden Lachflashes führt. So vergeht die Fahrt wie im Flug, auch wenn man zwischendurch dezent ausflippt, weil wieder mal so eine Trantüte vor einem durch die Prärie schleicht. Ein kurzer Zwischenstopp bei meiner Oma wird eingelegt, weil man im Eifer des Gefechts die Wasserflasche vergessen hat. Oma ist typisch besorgt und packt auch gleich noch eine Ladung Süßigkeiten zur erbetenen Wasserflasche obendrauf, ansonsten verhungern wir ja. Logisch. Opa zeigt sich eher besorgt um unseren Alkoholpegel und bietet Bier zum Mitnehmen an, welches wir dankend ablehnen. Ich muss Autofahren und mein Beifahrer ist kein Alleintrinker. Zumindest nicht immer. Nach den obligatorischen Küsschen für Oma und Opa und den drei Mal abgegebenen Versprechen, dass wir auf uns aufpassen, düsen wir weiter.

Am Parkplatz angekommen wird erstmal der Lauf der Sonne berechnet, damit man zum Heimfahren wieder schön im Schatten steht und das Auto keine Sauna simuliert. Mich kostet das immer gute fünf Minuten, weil mich alles, was auch nur in die Richtung von räumlichen Denken geht, maßlos überfordert. Dies geschieht natürlich ganz zur Erheiterung von dem mitgebrachten Menschen. Flugs werden die Taschen geschnappt. Ich überlege kurz. Entweder man geht über die Brücke und dann einen ellenlangen steilen Weg bergab, der in einer sehr gefährlichen Treppe mündet oder…

Als ich noch klein war, war da mal ein Weg. Bevor man noch über die Brücke geht, ging ein Weg runter, der nicht ganz so steil war. Den nehmen wir, auch wenn er nur auf meinen Erinnerungen basiert. Mein bester Freund lässt sich einfach leiten, der war noch nie da unten und glaubt mir einfach, dass ich schon weiß wie man da runterkommt. Eigentlich sollte er mich besser kennen. Ich bin barfuß unterwegs, weil ich in den Ballerinas tierisch rutsche und das nur zu einem Absturz führen würde. Wir stapfen also gut gelaunt durch den Wald. Ich jammere immer mal wieder, weil ich auf Tannenzapfen und Äste trete.

Ich bin ja eine Frau, die ihre Hornhaut dort lässt, wo sie ist. Und obwohl die Schicht mittlerweile der Hornhaut eines Elefanten alle Ehre macht, pickst es mich doch immer wieder. Ich bin halt manchmal etwas wehleidig, Asche über mein Haupt. Mein Kumpel stoppelt mir wie ein braves Hündchen nach, während ich zunehmend unsicher werde. Irgendwie sieht hier alles völlig anders aus als früher und eigentlich müssten wir schon längst zu einem Abstieg gekommen sein. Ich murmle ein paar Flüche und führe höchst interessante Selbstgespräche, als wir abrupt am Ende ankommen. Der Weg bricht direkt an einer Felswand ab. Also mal ehrlich, wie kann sich in den 10 Jahren so viel verändern? Warte mal. Ich rechne kurz nach wie alt ich eigentlich bin, da ich das gerne mal vergesse. Ach ja. 10 Jahre müssten ungefähr hinkommen…Daumen mal Pi. Upsi. Etwas bedröppelt erkläre ich, dass wir die 20 Minuten wieder zurückgehen können, weil das hier alles nicht mehr so ist wie früher. Also doch über die Brücke und den sogenannten Fischersteig nach unten. Wir schaffen es irgendwie doch noch nach unten und sehen uns dem eiskalten Fluss gegenüber. Jippie. Wir gucken uns um. Der Fluss ist an den meisten Stellen sehr seicht und in mehreren Metern Entfernung fließt er in den Stausee. Dort vorne ist die Insel, auf der wir immer waren, da ist das Wasser tiefer und man kann reinspringen. Flussaufwärts ist es aber ruhiger, da man weiter von der Brücke entfernt ist und falls noch Menschen runterkommen, so gehen sie eher flussabwärts. Wir entscheiden uns also für den Weg flussaufwärts und tingeln eine Weile durch das eiskalte Wasser, bis wir die nächste Steininsel erreichen. Dies ist übrigens einer der oben angesprochenen Flüsse, die nie mehr als 15 Grad bekommen. An diesem Tag waren es 13 Grad.

Da wir doch eine Weile durch das Wasser waten, frieren uns die Zehen ein, während uns die Sonne wütend auf die Schädel brennt. Mit der Grazie einer sterbenden Gazelle erreichen wir die ausgesuchte Insel und breiten unsere Handtücher aus. Mein Kumpel erblickt gleich rechts von uns einen riesigen Steinhaufen, den er sofort erklimmt. Ich stehe daneben und warte nur drauf, dass er auf die Fresse fliegt. Meine Schadenfreude wird aber nicht befriedigt und so tue ich, was jeder in meinem Alter tut. Ich zücke mein Handy und schieße Fotos, damit ich alles auf den verschiedenen Social – Media – Kanälen breittreten kann und jedem zeigen kann, wie schön ich es habe. So betrachtet ist es traurig, wie unser Gehirn mittlerweile funktioniert. Wir beobachten alles lieber durch die Kameralinse, als uns hinzusetzen und das Ganze einfach zu genießen.

Mister Obercool ist sich derweil sicher, dass er von dem Steinhaufen in eine etwas tiefere Stelle springen kann. Ich glaube, dass das schief geht, aber ich sitze mit dem Handy da. Bevor ich Erste – Hilfe leisten muss, muss ich das wenigstens noch filmen, für die Nachwelt. Wenn der mal Kinder bekommt, dann kann ich ihnen zeigen, wie dämlich ihr Vater mal war. Oder wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt auch noch ist.

 Ich habe es vorausgeahnt. Und jetzt hat man den Beweis. Schöne rote Abdrücke, wo er auf den Steinen gelandet ist. Ich rolle so heftig mit den Augen, dass ich für kurze Zeit mein hübsches Gehirn erblicken kann.

Ich denke mir, ich mache das viel eleganter und gehe da einfach mal rein. Was ich unterschätzt habe: Das Bachbett besteht aus Sand und Kieseln und diese verdammten Dinger rutschen einem unter den Füßen weg. Was passiert also? Ich geh da völlig selbstbewusst rein und mache dann den sterbenden Schwan, als der ganze Scheiß unter mir wegrutscht. Prustend und hechelnd komme ich wieder hoch, außerdem entfleucht mir ein „Heilige Scheiße, verdammt nochmal! Himmel Arsch und Zwirn ist das kalt.“ Ich bin eine Lady, ausgestattet mit dem Mundwerk eines biertrinkenden Bauarbeiters. Mein Kumpel lacht sich schlapp, während ich ans Ufer zurückstolpere und mich noch ein bisschen mokiere. So war das Ganze nicht gedacht. Wir verbringen die Zeit mit Musik hören und quatschen über alles Mögliche, während er zwischendurch Steine flitschen lässt. Eine Kunst, die ich nach Jahren nicht beherrsche. Das Wetter spielt aber nicht mit und die Wolken schieben sich vor die Sonne, sodass uns etwas kalt wird. Genial wie ich bin, schlage ich ein Lagerfeuer vor. Ganz begeistert beginnt mein bester Freund einen Steinkreis zu legen und sammelt trockenes Treibholz und alles was als Zunder fungieren könnte. Mit Feuereifer (lol, seht ihr den Wortwitz?) stapelt er das Ganze und versucht es zu entzünden. Bis auf ein paar kleine Flämmchen tut sich aber nichts. Wir überlegen und mir fällt ein, dass ich ein Deo dabeihabe. Also zündeln wir wie kleine Kinder herum, sogar ohne schwerwiegende Verbrennungen. Ein Wunder. Aber trotzdem bringen wir nichts zu Stande. Plötzlich wendet er sich zu seinem Rucksack, zieht seinen Reisepass heraus und reißt ihn in Stücke. Er stopft die Seiten zwischen die Hölzer. Ich bin so perplex, dass ich kein Wort rausbringe. Das ist gerade nicht sein ernst?! Er hat einfach seinen Reisepass…also, was zum Teufel?! Ich weiß ja, dass er einen an der Waffel hat, aber das?

Dann erhasche ich einen Blick auf das Passfoto und kringel mich vor Lachen auf dem Boden. Der Reisepass ist ewig alt, denn das Foto ist mindestens 12 Jahre alt. Der Pass ist schon längst abgelaufen und brennt wie sonst was, sodass wir endlich ein schönes Feuer haben. Mir ist trotzdem kalt, weshalb ich mir noch ein Handtuch um die Schultern schlinge. Dennoch entscheide ich mich, dass ich etwas Bewegung brauche. Und ich weiß ja nicht welche Synapsen bei mir gelegentlich Fehlsignale senden, aber es läuft darauf hinaus, dass ich mir das Handtuch wie ein Cape umbinde und ganz Supermanlike um das Feuer hüpfe. Fliegen bringe ich zwar nicht hin (außer galant auf die Fresse, aber das kommt später), dafür lacht mein bester Kumpel und meiner Meinung nach, ist es das wert, dass ich mich mal zum Affen mache. Wir haben beide eine schwere Zeit hinter uns und haben es verdient herzhaft zu lachen. Auch wenn es nur deswegen ist, weil ich völlig bescheuert bin. Weil es trotzdem bald nach Regen aussieht wollen wir zurück. Ich gebe zu bedenken, dass uns beim Weg durch das Wasser die Zehen diesmal wohl abfallen und wir gucken nach einem anderen Weg. Links von uns sind steile Felswände und etwas Ufer und ich gucke mir das an. Ein paar Bäume sind beim letzten Sturm umgefallen, also wird es wohl eine kleine Kletterpartie, aber das sollte möglich sein. HA! Ich bin so dumm. Voller Freude stapfen wir also los, ich immer mit viel Vorsicht, denn ich bin allergisch gegen Brennnesseln. Oh ja, dagegen kann man allergisch sein. Hab ich auch nicht geglaubt, bis ich mal an einer gestreift bin und mein ganzes Bein doppelt so groß anschwoll, brannte und übersät war mit tausenden kleinen Punkten, aus denen ein paar Tage später eine klare Flüssigkeit sickerte. Von allen Allergien auf der gesamten Welt muss ich also genau gegen eine Pflanze allergisch sein, die man so gut wie überall findet. Beim Verteilen der Arschkarten hat mir wer ganz böse mitgespielt.

Nun gut, wir kraxeln über den ersten und den zweiten Baum, dann stehen wir auch schon an. Das Dickicht ist relativ dicht und was wächst da? Klar, Brennnesseln. Ich suche also einen umständlichen Weg außen rum, der mich durch ein paar Spinnweben und abgebrochene Äste führt. Und ab dann geht’s nur noch bergab. Na gut, eigentlich bergauf und zwar steil. So steil, dass mein bester Kumpel von hinten anschieben muss, weil ich permanent abrutsche. Ich schaffe es auch immer wieder mich an Bäumen und Ästen festzuhalten, die einfach wegbrechen und weil ich ja dachte, ich brauche keine Schuhe, rutsche ich im Laub ständig weg. Ich entgehe mehrmals einem Absturz, während mein bester Kumpel bereits schnaubt wie eine Dampflok. Auf so viel Sport waren wir nicht eingerichtet.

Wie es ausgeht? Nachdem wir mehrmals fast abgestürzt und uns die Hälse gebrochen hätten, kommen wir irgendwie am Fischersteig raus. Die „Abkürzung“, die unsere Zehen retten sollte, hat mindestens eine halbe Stunde länger gedauert. Wir kommen dementsprechend zerrupft beim Auto an. Nicht nur, dass meine Waden ein einziges Striemenmeer sind, weil ich so gut wie alle Äste mit voller Wucht gestreift habe, ich habe den halben Wald in den Haaren und ein kleiner Spatz versucht verzweifelt sein Nest in meinen zu Berge stehenden Haare zu machen. Vielleicht will er auch Nestmaterial klauen. Sicher bin ich mir nicht, er nervt mich auf jeden Fall tierisch.

Ich setze meinen Kumpel zu Hause ab und fahre dann selbst zu mir, um zu duschen. Das ist nach so einem Tag wirklich nötig.

 

Und was waren meine Erkenntnisse?

Nebst einer leichten Paranoia, die sich auf möglicherweise vorhandene Zecken konzentriert, verstümmelten Waden, wo sich die roten, blutenden Striemen toll vom mehlweiß meiner Haut abheben und dem unbändigen Bedürfnis mich selbst zu hauen, weil wir durch dichtes Gebüsch und steile Felswände gekraxelt sind, anstatt einfach die fünf Minuten durch den Fluss zu latschen, bleibt nur eins:

Wenn ich sage, dass das eine Abkürzung ist und man nur ein klein wenig kraxeln muss, dann lauft schnell weg. Ich habe den Orientierungssinn eines betrunkenen Eichhörnchens, welches von einem Sommergewitter erwischt wird. Ihr geht mit mir verloren, in den Untiefen der österreichischen Mischwälder und niemand wird euch je finden, außer die gierigen Nagetiere der heimischen Wälder, die eure verhungerten Leiber fressen.

Na gut, ich gebe zu: das war vielleicht ein bisschen übertrieben. Glaubt mir einfach nicht, wenn ich sage, dass ich den Weg kenne.

Dies war aber wohl eher die Erkenntnis meines besten Freundes, der mit mir so schnell nicht mehr auf Wandertouren geht.

Meine Erkenntnis ist wohl eher diese: Wir betrachten das Leben viel zu oft durch eine Kameralinse, weil wir Erinnerungen für ewig schaffen wollen. Dabei sind die wirklich echten und puren Erinnerungen die, die wir mit eigenen Augen sehen und mit den eigenen Händen ergreifen. Saugt den Moment lieber durch die Nase ein, als euch das Handy vor der Nase zu platzieren. Hört genau zu, den Klängen der Natur, um die Melodie der Seele erklingen zu lassen, denn ein Display wird euch niemals die ganze und wahre Echtheit um euch herum widergeben können. Das können nur wir, in unseren puren Erinnerungen, die selbst gesehen, begriffen, gerochen und erlebt wurden.

Ach ja und wenn ihr mich mal seht: fragt mich nicht nach dem Weg! Ich lotse euch nur unabsichtlich in eine Schlucht, ein Minenfeld oder ein Kriegsgebiet, weil ich neben dem nicht – vorhandenen Orientierungssinn, auch an einer ausgeprägten Links – Rechts – Schwäche leide. Ich will euch ja den richtigen Weg sagen, aber mein Körper und mein Gehirn arbeiten leider nicht richtig zusammen und ich glaube, dass wegen mir schon sehr viele Menschen verschollen sind. Hoppala!

Kommentar schreiben

Kommentare: 0