· 

Tollpatschigkeit oder: Wie ich Typen aufreiße

Ich bin überzeugter Single. Das bedeutet, dass ich die Vorteile des Singledaseins völlig auslebe. Für alle, die sich in einer Beziehung befinden, liste ich nochmal ein paar der Vorteile auf:

  • Beim Morgenkaffee quatscht dich niemand an. Heilige Ruhe, während man stinkig herumhockt und sich in seinem Leid suhlt, weil man dann arbeiten muss. Niemand nervt einen mit seinen Atemgeräuschen.
  • Man kommt und geht, wie man will. Man muss niemanden erklären, wo man die ganze Nacht war (in meinem Fall meistens im Bett, oder auf der Couch). Man muss nach der Arbeit nicht gleich nach Hause, um zu kochen (ich komm zwar nach der Arbeit nach Hause, aber ich ernähre mich dann von Chips oder Popcorn, während die drölfte Staffel irgendeiner Serie auf Netflix läuft). Man muss niemandem sagen, mit wem man sich trifft (in meinem Fall treffe ich höchstens den DHL - Boten, der mich in den schlimmsten Zuständen erblicken darf).
  • Man hat die alleinige Herrschaft über die Fernbedienung. Es läuft Titanic? Klar, das guck ich, denn niemand quatscht mir rein. Kein Formel1, kein Fußball, kein Motor GP. (Gut, in meinem Fall läuft dann Bear Grylls oder Top Gear, weil ich Titanic und Romanzen generell verabscheue. Da kommt mein ausgeprägter Brechreiz wieder hervor).
  • Wie es in der Wohnung ausschaut ist völlig egal. In meinem Fall: Wenn ich heimkomme, dann schmeiße ich meine Tasche immer in irgendein anderes Eck. Der Gang ist gefüllt mit 15 Paar Schuhen und im Abstellraum befinden sich die restlichen drölf Schuhpaare. Ich verteile überall meine Haare und habe eine erbitterte Fehde mit dem Staubsauger. Der Esstisch ist vollgeräumt mit allen möglichen Lernunterlagen und ekelhaften Bildern von Wunden und Ähnlichem, es ist nur ein Platz frei und da steht mein Laptop. Mein Schlafzimmer sieht, trotz überdimensioniertem Schrank, aus, wie eine Boutique, weil dort alle Kleidungsstücke wahllos herumliegen. Ich muss nicht zusammenräumen, weil mir niemand sagt, dass ich es muss. Ich räume dann zusammen, wenn ich will (selten). Ich bin eben ein wahnsinniger Chaot. Versteht mich nicht falsch: ich bin nicht unhygienisch, ich putze sehr wohl. Ich habe nur Chaos, in allen Räumen. Und niemanden interessiert es!
  • Keine unangenehmen Treffen mit Schwiegereltern. Das ist wohl eher ein persönliches Problem, wobei ich glaube, dass ich da nicht die Einzige bin. Ich bin nicht der Typ Frau, den sich Mama und Papa für ihre Söhne und Töchter wünschen. Damit hab ich persönlich auch kein Problem, ich gehe meinen Schwiegereltern dann einfach so weit als möglich aus dem Weg. Manchmal lässt sich das aber nicht vermeiden und dann muss ich sie alle wieder enttäuschen. "Wird man mit einer Hochzeit rechnen?". Nein, liebe Schwiegermama, ich heirate bestimmt nicht, damit ich dann mein Leben lang dein Kind übernehme, weil du keinen Bock mehr hast. "Habt ihr schon an Kinder gedacht?". Nein, lieber Schwiegerpapa, ich bin 21 und trage sicher nicht deinen schreienden, kackenden Enkel durch die Gegend. Ich habe damals meinen schreienden und kackenden Neffen durch die Gegend getragen, das hat mir gereicht (und der hat bei mir immer nur geschrien). Kinder und ich mögen uns nicht sonderlich, das ist eben so. Woran das liegt, weiß ich nicht. Vielleicht sehe ich einfach gruselig aus.
  • Hab ich das mit der Alleinherrschaft über die Fernbedienung erwähnt?
  • Ich kann meinen Sonntag stinkend auf der Couch verbringen, weil mich niemand zu Aktivitäten außerhalb meiner Wohnungstür zwingt. Mein Körper zerfällt an freien Tagen standardmäßig zu Abfall und ich habe weder die Muse, noch die Lust, mir irgendwas anderes als mein gammliges T-Shirt und meine von Fettflecken strotzende Jogginghose anzuziehen, geschweige denn unter Menschen zu gehen.
  • Niemand quatscht einen nach der Arbeit direkt voll. Wenn ich heimkomme brauche ich erst mal eine Stunde Ruhe. Ich habe den ganzen Tag mit Menschen zu tun. Bin Friseurin, Psychologin, Putzfrau, Köchin, Pflegerin, seelische Stütze, Händchenhalterin, Tränentrocknerin, Clown, Animateurin, Wissenschaftlerin, Sündenbock, Streitschlichterin, Pharmazeutin, IT - Spezialistin, Seelsorgerin, Teamkollegin, Schwester, Mutter. Ich bin Krankenpflegerin und das gern. Aber wer den ganzen Tag unter Menschen verbringt, sich all ihr Leid, ihre Probleme und Fragen anhört. Wer sich körperlich und psychisch betätigt, um die Lebensqualität anderer zu erhöhen, der hat nach der Arbeit keine Lust alles über den Tag des Anderen zu hören. Das bringt mich gleich zum nächsten Punkt:
  • Man darf auch mal egoistisch sein. In einer Beziehung ist das Geben und Nehmen sehr wichtig. Ja, stellt euch vor, ich weiß wie eine Beziehung theoretisch zu funktionieren hat. Und auch, dass Egoismus auch mal in einer Beziehung sein darf. Aber es ist nicht all zu gut. Als Single darf ich aber egoistisch sein, so oft und so viel ich will. Traumhaft!
  • Und vergesst nicht die Herrschaft über die Fernbedienung!

 

Trotz all diesen Vorteilen des Singledaseins, bin ich auch nur ein Mensch, der sich hin und wieder ja doch auch nach Nähe und Zuneigung sehnt. Meine beste Freundin macht das ganz gut, aber - und das sage ich jetzt ganz offen - ihr fehlt eine wichtige Eigenschaft, die ich hin und wieder brauche. Sie hat keinen Penis. Ja, ich bin bisexuell und nein, ich suche mir meinen Partner nicht nach seinen Geschlechtsorganen aus. Aber in unserer Welt ist es traurigerweise nach wie vor leichter, einen andersgeschlechtlichen Menschen aufzureißen. Denn zu seinen Neigungen zu stehen macht vielen noch Angst und Homophobie ist nach wie vor ein großes Thema.

Deshalb erzähle ich euch heute, wie ich Typen aufreiße. Speziell an einem Fall, der mir vor ein paar Monaten passiert ist.

 

Ich habe Stress. Den hab ich eigentlich immer, Gott weiß warum. Ich bin der pünktlichste Mensch auf Erden, aber um das zu sein, habe ich die meiste Zeit Stress. Deshalb laufe ich auch völlig gestresst durch den Supermarkt und suche verzweifelt nach diesem komischen Pesto, dass ich vor kurzem gefunden habe und dass mir total geschmeckt hat. Ich habe nachher noch was vor und da ich mit Zeitmanagement auf Kriegsfuß stehe, muss ich mir ein paar Minuten herausschinden. Das bedeutet, ich hetze von einem Gang zum nächsten und übersehe dabei völlig dieses leuchtend gelbe frisch gewischt Schild. Natürlich bin ich auf hohen Schuhen unterwegs, weshalb ich aussehe wie ein gestresster Storch mit Verstopfungen. Es ist mir schleierhaft, wie Frauen auf hohen Schuhen rennen können. Ich kann damit gehen, aber auch nur gerade so. Zurück zum "Frisch - gewischt" - Schild.

Ich spute mich also und ehe ich mich versehe, knalle ich völlig elegant auf die Fresse und rutsche ein paar Meter den Gang entlang. Genau heute habe ich ein weißes Shirt an. Mein Kleiderschrank besteht aus 10 verschiedenen Schwarztönen und ich habe nur ein weißes Shirt. Ein einziges. Und das trage ich.

Keine Ahnung wer den Gang gewischt hat, aber sie oder er hatte wohl das Bedürfnis eine kleine Sinflut zu simulieren, denn ich bin tropfnass. Passend zum weißen Shirt, trage ich natürlich einen grauen BH (weil fuck, ich habe keinen weißen) und einen schwarzen Rock. Jetzt liege ich zwischen Katzenfutter und Tampons, der Rock ist mir hochgerutscht und jeder kann meine Panty bewundern, die zufälligerweise ein kleines Kätzchen, dass mit einem Wollknäuel spielt, am Arsch hat. Da ich den Großteil des Sturzes mit meinen kleinen Brüsten abgefangen habe (verwunderlich, dass das geht) habe ich nun zwei riesige nasse Flecken auf meinem T - Shirt, die aussehen, als hätte ich übelsten Milchfluss. Und was sehe ich als erstes? Ein Schuhpaar, ziemlich direkt vor meiner Nasenspitze. Und kurz darauf helfen mir zwei Hände auf. So steh ich nun da, zupfen den Rock nach unten und schaue schockiert auf mein Shirt. Ich gucke auf und sehe in zwei sehr schöne Augen.

Hier legen wir einen kurzen Stopp ein, denn: wer fühlt sich noch an einen Bridget Jones reifen Hollywood - Streifen erinnert? Also ich auf jeden Fall. Sag ich doch, dass mein Leben eine verdammte Sitcom ist!

Zusammenfassend: Ich laufe wie eine besoffene Giraffe auf Stelzen durch den Supermarkt, um elegant den Boden zu küssen, wobei ich die peinlichste Unterhose aller Zeiten präsentiere, nur damit mich ein total scharfer Typ auf die Füße zieht, weil ich direkt vor ihm lande. Ja, das bin ich. Daisy wie sie leibt und lebt!

Und dann lacht der auch noch! Der lacht! Ernsthaft! Und alle anderen Kunden, die meinen Sturz gesehen haben, lachen auch! Was mache ich? Nein, ich versinke nicht im Erdboden, ich laufe auch nicht rot an. Ich lache mit. Herzhaft, laut und begeistert, denn: ich weiß, dass ich wahnsinnig tollpatschig bin, zwei linke Füße und Hände habe und sonst auch mein Leben nicht so im Griff.

Was soll ich denn sonst machen? Weinen und weg laufen? Nützt nichts. Der halbe Laden hat meine spontane Flugeinlage gesehen und irgendwie fühlt man sich leichter, wenn man über sich selbst lachen kann.

Früher, ja, da hab ich den Kopf eingezogen, bin knallrot geworden und vom Ort des Geschehens sehr schnell geflohen. Mittlerweile ist mir eins klar: Selbstbewusstsein kann man lernen. Und zu diesem Lernprozess gehört es eben auch, über sich selbst lachen zu können. Wer von uns ist nicht schon mal mit Anlauf ins Fettnäpfchen gehüpft? Wer von uns hat noch nie einen dämlichen Spruch gelassen, der von jedem mit Schweigen quittiert wurde? Wer von uns hat noch nicht eine völlig abnormale Aktion gerissen, für die er / sie von jedem angestarrt wurde? Wir sind Menschen und im Kern alle gleich. Wir sind Menschen, was bedeutet, dass wir fehlerhaft sind. Unperfekt. Warum also unsere Fehler kaschieren? Warum sie verstecken? Ich trage meine Fehler offen in die Welt hinaus, manchmal beinahe penetrant und zu übertrieben (auch so ein Fehler). Denn ich zu sein erfüllt mich.

 

Was wurde aus dem Typen? Der hat nach seinem Lachflash endlich mal gefragt, ob es mir gut geht. Und mich dann auf einen Kaffee eingeladen. Ich habe diese Begegnung zwar nicht weiter verfolgt, weil er das totale Klischeé war und ich Klischeés abschreckend finde (schön anzusehen, aber hohl wie Paprika), aber ich habe mal wieder gesehen, wie viel schöner das Leben ist und was es mit sich bringen kann, wenn man hin und wieder über sich selbst lacht. Auch wenn man der halben Welt seine Unterhose präsentiert. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Alien Anja (Freitag, 29 Juni 2018 22:15)

    Also das könnte beinahe ich sein ^^ nur das mir das nötige Selbstbewusstsein fehlt, mit der Situation so cool umzugehen wie du... ich wäre vermutlich aufgestanden und beschämt weggelaufen ^^